Efivos
Foto: Christian Gottas / medien+bildung.com

Gastbeitrag: Efivos - Medienpädagogische Demokratieförderung im schulischen und außerschulischen Feld

Viele Schulen in Deutschland kämpfen bereits seit Jahrzehnten darum, den Weg für Kinder und Jugendliche in eine demokratische Gesellschaft mit liberal-humanistischer Gesinnung zu ebnen.

Fächerübergreifende Ansätze und Konzepte begleiten Schüler*innen dabei in ihrer Entwicklung. Spätestens mit dem Sturm auf den Reichstag nach einer Querdenkerdemonstration 2020 ist deutlich geworden, dass ein demokratisches Grundverständnis auch in Deutschland noch tiefer und nachhaltiger verankert sein muss.

Um dies zu unterstützen, hat medien+bildung.com zwei medienpädagogische Konzepte mitentwickelt. Beide fördern Aspekte der Demokratiebildung über medienpraktische Arbeit.

Zum einen entstand im Auftrag des Fort- und Weiterbildungsinstitut der evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz (EFWI) die medienpädagogische Praxisanleitung "SCHULE mittendrin” mit Methoden und Lernszenarien für die Arbeit mit Schüler*innen ab Klasse 7. Die Handreichung ist im Onlineshop von medien+bildung.com als Broschüre zum kostenlosen Download verfügbar und kann über die Website des EFWI kostenfrei als Druckexemplar bezogen werden. Insbesondere Aspekte wie Filterblasen, Echokammern, Meinungsmache im Netz, Fake News und Social Bots wurden hier als Handlungsmethoden zur sozialen Gruppenarbeit mit digitalen Medien entwickelt und zur niedrigschwelligen Adaption durch Fachfremde konzipiert.

Darüber hinaus engagierte sich medien+bildung.com als deutscher Bündnispartner im europäischen Erasmus+ Projekt "Efivos”. Ziel des Projektes war, mit Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren ein eigenes eNewspaper zu entwickeln. Fokussiert waren hierbei insbesondere Jugendliche aus soziokulturell benachteiligten Verhältnissen, mit Migrations- oder Fluchtbiografie sowie Sozialpädagog*innen und Lehrer*innen auf der anderen Seite. Herausgekommen ist ein umfangreiches Handbuch zur Projektkonzeption mit Trainingsmethoden für den Unterricht der Gruppe, die für den freien Download verfügbar sind.

Doch wie ist ein solches Projekt mit den oben genannten Zielen der Demokratieförderung zu verbinden?

Ein eNewspaper ist eine interaktive Zeitschrift und somit zunächst nichts anderes als eine Website. Diese braucht wiederum Inhalte in Form von Text-, Bild-, Audio- und Videobeiträgen. Die Bausteine müssen vorbereitet, recherchiert, produziert und redaktionell abgestimmt werden. Allein hierfür ist bereits ein hohes Maß an Medienkompetenz bei der Quellenanalyse und Medienproduktion erforderlich. Darüber hinaus sollten sich die Jugendlichen bei der Produktion mit eigenen Sichtweisen, Perspektiven und der sie umgebenden, teils neuen Kultur auseinandersetzen.

Die journalistische Sicht- und Arbeitsweise führt zu einem breiteren Verständnis für die Kultur des Landes, in dem die Jugendlichen leben, sowie zu mehr Partizipation und Teilhabe: Das eNewspaper ist ihre Stimme, mit der sie sich Gehör verschaffen können. Auch fördert diese Arbeitsweise einen Perspektivwechsel und ein kritisches Wahrnehmen gegenüber Medien.

Die Entwicklung eines solchen eNewspapers ist jedoch auch aufwendig und herausfordernd. Gerade das schriftliche Verfassen von Texten fällt dieser Zielgruppe besonders schwer. Vor allem audiovisuelle Produktionen bieten sich an, um Hürden zu überwinden. Sie integrieren die Lebenswelt der Jugendlichen, greifen auf bereits vorhandene Kompetenzen wie Social Media-Postproduktion zurück und ermöglichen ihnen eine andere, vielfältigere Ausdrucksweise. Für viele Bereiche der Produktion wird lediglich ein Smartphone benötigt, sodass die Teilnehmer*innen problemlos mit ihren eigenen Geräten arbeiten können.

Das Efivos-Konzept wurde europaweit mit unterschiedlichen Gruppen und ehrenamtlichen Trainer*innen erprobt: In Zypern arbeitete man ausschließlich online mit Geflüchteten in Aufnahmecamps, in Griechenland und Schweden mit Migrant*innen in der außerschulischen Bildung, in Italien mit minderjährigen Geflüchteten in stationären Wohngruppen und in Spanien und Deutschland im schulischen Feld mit Jugendlichen aus soziokulturell benachteiligten Verhältnissen und mit Migrationsbiografie. Während der Corona-Pandemie war die Arbeit mit den Zielgruppen eine große Herausforderung aufgrund der Kontaktbeschränkungen und der verschiedenen Lockdowns, denn der persönliche Bezug zwischen Lehrkraft und Jugendlichen ist hier unabdingbar. Medienarbeit alleine reicht bei weitem nicht aus. Sie bleibt vielmehr Technik, Motivator und Ziel, ersetzt jedoch niemals die soziale Bindung und insbesondere nicht die der Gruppe.

Gerade in Deutschland zeigte sich, dass der Ansatz einer Projektarbeit mit einer Klasse im Berufsvorbereitungsjahr auf fruchtbaren Boden fällt. Unter dem Dach des Projektes lassen sich verschiedene Fächerinhalte und Lernszenarien integrieren. Zum Beispiel: Redaktionelles Arbeiten in Form von Recherche und Quellenanalyse, wie man einen Artikel schreibt und sich mit dem Schreibstil eines Artikels vertraut macht, wie ein Interviewprozess strukturiert und geführt werden muss, welche Fragetypen es gibt und natürlich die Verbesserung der Sprachkompetenzen. Daneben Softskills wie Rückmeldung geben und Frustrationstoleranz aufbauen, die Selbst- und Fremdwahrnehmung schulen sowie die im Medienkompass RLP geforderten Kompetenzen zur Nutzung digitaler Medien als Werkzeuge der Kommunikation, Expression und Öffentlichkeitsarbeit, der Entwicklung eines kritischen Medienbewusstseins und praktischer Kompetenzen im Hinblick auf Reportagefotografie, Grafikdesign, Webcasting, Web-Radio und Videoproduktionen.

Im Feld der Demokratieförderung kann die Entwicklung von journalistischen und medialen Fähigkeiten wie kreatives Schreiben, aktives Zuhören, kritisches Denken und Präsentationsfähigkeiten als Baustein zur Ausübung grundlegender Menschenrechte wie Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Gedankenfreiheit gesehen werden. Es stärkt das interkulturelle Bewusstsein, fördert den kulturellen Dialog und dient ebenfalls als Radikalisierungsprävention.

Eine differenzierte Projektdarstellung finden Sie auf der deutschen Projektwebseite efivos.bildungsblogs.net. Wie groß und umfangreich ein solches Projekt werden kann, zeigt die griechische Projektseite migratorybirds.gr auf, deren eNewspaper mehrsprachig auch in gedruckter Form in Tageszeitungen in Athen beigelegt werden.

Autor: Christian Gottas, Projektleiter Efivos und Medienpädagoge bei medien+bildung.com

alvivi ist das Info-Portal für Flüchtlinge, Migranten und Helfer.

Hat dir der Beitrag geholfen?

Artikel teilen